Melibokus (10,1 km)

22. April 2008

Irgendwie hadere ich immer noch mit der Tatsache, dass wir beim vorgestrigen Lauf ums Beerbachtal vor der Steigung auf dem Seeheimer Weg kapituliert haben und ein Stück gegangen sind.
Das wurmt mich einfach, vielleicht weil es an meinem Selbstbild als ordentlicher Bergläufer kratzt.

Um dieses Selbstbild wieder etwas auzupolieren hatte ich mir deshalb für heute eine weitere Bergstrecke vorgenommen, und zwar den Klassiker schlechthin in meinem Repertoire:
Von Jugenheim über den Pürschweg auf den Melibokus und wieder zurück.
Eine schöne, ehrliche Strecke: Man startet, läuft fünf Kilometer kontinuierlich bergauf durch den Wald, und ist oben. Da darf man dann kurz die grandiose Aussicht geniessen, dann dreht man um, läuft fünf Kilometer kontinuierlich bergab, und ist wieder unten.
Der Höhenunterschied beträgt knapp 400 Meter was einer durchschnittlichen Steigung von 8% entspricht -das ist ganz ordentlich, aber gut schaffbar (tatsächlich ist diese Route m.M.n. der mit Abstand leichteste Aufstieg auf den Melibokus. Alle anderen Wege sind deutlich steiler und deshalb – wie ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann – wesentlich schwerer zu joggen).
Ausserdem kenne ich den Weg in- und auswendig, entsprechend erhoffte ich mir anhand der heutigen Laufleistung eine weitere Standortbestimmung darüber, wie genau es um meine momentane Fitness bestellt ist.
Also quasi zur Hälfte ein Test- und zur Hälfte ein Egolauf… 🙂

Start gegen 10:30 Uhr. Kühl und bedeckt, also durfte Nemo mit. Wie üblich ging es zuerst mal über die Jossastr. ostwärts zum Waldrand hoch, dort dann geradeaus das Hasselbachtal hinauf (Burgenweg: Blaues B), und schließlich nach 200 m. scharf links auf den unmarkierten Weg, der hoch zum Wasserturm auf der Anhöhe über dem Merck-Anwesen, und schließlich auf den Pürschweg führt. Dort dann scharf rechts, den Pürschweg hoch, dem man die nächsten 3,3 km nur noch bergauf folgen muss, bis man auf die Melibokusstrasse trifft.

Der erste Kilometer lief nicht so gut, besonders meine Waden beschwerten sich über den Aufstieg, allerdings ignorierte ich sie geflissentlich und lief durch. Auf Höhe der Darsbergwiese lief es dann langsam runder, zwar zwickte und zog es immer noch ein bisschen, aber ich hatte so langsam meinen Rhythmus gefunden. Immer weiter aufwärts durch den Wald (der inzwischen schon stark zu grünen anfängt), um die Kehre oberhalb der Ruine Jossa, vorbei an der Darsberghütte, über das kurze, fast ebene Stück kurz vor dem Hohe-Stich-Weg (puha, da kann man immer für ein paar hundert Meter durchatmen), dann die letzte ordentliche Steigung bis zur Melibokusstrasse.

Unterwegs keine Menschenseele. Keine Forstarbeiter, keine Spaziergänger, keine Biker (über letzteres bin ich immer ganz froh, denn unter den vielen freundlichen und rücksichtvollen Radfahrern am Melibokus gibt es auch ein paar Ärsche, die den steilen, engen, gekiesten Pürschweg gerne als Piste für Schussfahrten ins Tal verwenden, und sich dabei einen Dreck darum scheren, dass ihnen hinter der nächsten uneinsichtigen Kurve ein Jogger und sein kleiner Hund [oder ein paar Wanderer. Oder eine Mutter mit Kinderwagen. Oder ein Holzlaster] entgegenkommen könnten). Nemo lief gut mit, also konnte ich hier mal so richtig schön diversen unnützen Gedanken nachhängen.

Heutiges Thema: Mathematik.
Beim Bergauflaufen stemmt man ja mit jedem Schritt sein eigenes Körpergewicht in die Höhe.
In meinem Fall sind das also mit jedem Schritt ca. 75 Kilo.
Nehmen wir jetzt mal an, ich hätte eine durchschnittliche Schrittlänge von 50 cm (ich hab´ kurze Beine und beim Bergauflaufen macht man eh kleine Schritte, das könnte hinkommen), dann wären das für die 5000 m. auf den Melibokus 10 000 Schritte.
Ergo stemme ich, wenn ich auf den Melibokus laufe, 10 000 x 75 Kilogramm.
Zusammengerechnet sind das 750 000 Kilogramm!! 750 metrische Tonnen!!!
Krass, oder?
Offensichtlich bin ich eine Art Supermann, und hab´ das nur nie realisiert… 😀

Nachdem ich mich dergestalt fitgerechnet hatte, waren natürlich auch die letzten Meter bis zur Melibokusstrasse kein Problem mehr. Schnell noch die letzten drei asphaltierten Serpentinen hoch (alternativ kann man dort wo der Pürschweg auf die Strasse trifft auch halbrechts auf den Alemannenweg/den HW 16 [weisser Balken], das ist kürzer als die Strasse aber wesentlich steiler [und bei schönem Wetter voller rücksichtsloser Kamikaze-Biker], deswegen würde ich davon abraten), dann links vorbei am ehemaligen Militärgelände, und schon waren wir oben: Melibokus (höchste Erhebung der nördlichen Bergstrasse, 517 M.ü.NN, manchmal auch Malchen oder Malschen genannt, Teil des Kristallinen Odenwalds, Granit, Hauptmerkmale: Das ehemalige Militärgelände, der etwas unansehnliche neue Aussichtsturm [den alten aus dem Jahr 1772, der offensichtlich sehr apart war, haben die Nazis 1945 gesprengt. Mistkerle), die kleine Gaststätte unter dem Turm [nur an Wochenenden geöffnet], und die Startrampe für Drachenflieger und Paraglider unterhalb des Gipfels).

Positiv: Wir waren hochgekommen ohne anzuhalten.
Negativ: War mühsam, und vor allem furchtbar lahm: Der blick auf die Uhr zeigte, dass ich für den Aufstieg 38 Minuten gebraucht hatte, 7 bis 8 Minuten mehr als ich zu meinen besten Zeiten gebraucht hätte.
Fazit: Grundfitness ist da, Höchstform nicht. Muss man noch dran arbeiten.

Aber egal: Erstmal waren wir wohlbehalten oben angekommen, immer noch ein erhebendes Gefühl (ich weiss noch genau, wie ich vor ein paar Jahren zum ersten Mal hier hochgejoggt bin – ich war fix und fertig, und so stolz, dass ich fast geplatzt wäre. Ich glaube dabei ist mir zum erstenmal klar geworden, wie großartig es ist, wenn man nicht einfach nur so vor sich hinjoggt, sondern dabei all die spannenden und schönen Orte besucht, die es in der Umgebung so gibt – hier oben steht also quasi die Wiege meiner persönlichen Laufphilospohie). Um mir das zu erhalten, folge ich eigentlich immer dem gleichen Ritual, wenn ich hier oben bin: Zuerst einmal gehe am Aussichtsturm vorbei die Treppe runter, auf der mittleren Ebene links, dann unterhalb der Wirtschaft rechts über den Gitterrost (Nemo muss ich hier immer tragen, das mag er gar nicht), und schließlich runter zur Startrampe der Drachenflieger. Dabei vermeide ich es konsequent, auch nur einen Blick in die Ebene zu werfen.
Das spare ich mir auf, bis ich an der Rampe stehe, vor der es direkt 30 m. in die Tiefe geht – erst hier gönne mir den unglaublichen, grandiosen Blick runter in die Ebene, von dem der Schriftsteller Joachim Heinrich Campe mal geschrieben hat, es sei einer der schönsten in ganz Deutschland. An klaren Tagen sieht man hier alles: Die Bergstrasse. Das Ried. Den Rhein. Rheinhessen. Darmstadt. Frankfurt. Den Taunus. Mainz. Wiesbaden. Den Rheingau. Den Hunsrück. Den Donnersberg. Mannheim. Ludwigshafen. Den Pfälzer Wald…
Ganz ehrlich: Ich bin im letzten Jahr ziemlich viel in der Gegend rumgekommen, aber das hier ist immer noch einer der schönsten Plätze an der Bergstrasse, die ich kenne.

Heute war übrigens kein besonders guter Tag für den Melibokus. Zu diesig, da konnte man nicht mal richtig bis an den Rhein sehen. Nichtsdestotrotz ein wunderbares Gefühl, hier oben in der Stille zu sitzen, den leichten Wind zu spüren, und runter ins Ried zu schauen.
Wunderschön.

Nach ein paar Minuten riss ich mich dann wieder los – ich bleibe hier nie zu lange, und komme auch nicht zu oft her, damit sich der Melibokus nicht „abnutzt“. Lieber nicht zu intensiv geniessen, sondern immer nur ein bisschen, und beim nächstenmal dann wieder genauso staunen.

Abwärts auf genau derselben Route. Da wir bergauf relativ lange gebraucht hatten, beschloss ich, etwas Tempo zu machen. Auch das war wieder etwas unangenehm, denn paradoxerweise bin ich kein besonders guter Bergabläufer – in Jahren des Berglaufens habe ich mir angewöhnt, Gefälle ganz gemächlich zu laufen, um die Gelenke zu schonen und zu regenerieren, fürs Abwärts Hetzen fehlt mir da einfach der richtige Rhythmus. Entsprechend zwar zügig aber nicht richtig schnell bergab, am Militärgelände entlang auf die Melibokusstr., drei Serpentinen dann Pirschweg, vorbei am Hohe-Stichweg und der Darsberghütte, durchs Darsbergtal, schließlich scharf links auf die Anhöhe am Wasserturm, runter ins Hasselbachtal, auf dem Burgenweg zum Waldrand, dann geradeaus nach Jugenheim.

Guter Lauf, anstrengend und etwas langsamer als erhofft, insgesamt aber sehr schön und erfrischend.
Erkenntnisgewinn: Ja, es geht noch. Aber: Nein, es geht noch nicht so gut wie früher.

Strecke: 10,1 km
Zeit: 1:07 h (= 9,04 km/h bzw. 6:38 min/km [Aufstieg: 0:38 h= 7,99 km/h bzw. 7,31 min/km, Abstieg 0:29 h= 10,47 km/h bzw. 5,44 min/km)
Karte:

Interaktive Streckenkarte

M.

 
NACHTRAG: Hey, ich hab´ gerade das komplette Melibokuszitat von Campe gefunden, das mir so gut gefallen hat, dass ich es jetzt vollständig einstelle:
Die Aussicht, die man auf dem Gipfel dieses Berges genießt, ist wohl unstreitig eine der größten, mannigfaltigsten und schönsten in Deutschland. Tief zu unseren Füßen lag eine gegen Süden und Norden grenzenlose Fläche gleich einer ausgespannten Landkarte. Durch sie schlängelt sich in malerischen Krümmungen der blaue Rhein. Gegen Westen erblickt man in einer Entfernung von ungefähr 8 Meilen das lange Vogesengebirge [sic – da meint er wohl den Pfälzer Wald, der deutlich weiter als acht Meilen entfernt ist]. Drehet man sich um, so übersieht man gegen Osten einen Teil der Gebirge, die den Odenwald ausmachen, und unter diesen den Spessart. In der ungeheuren Fläche hingegen unterscheidet man bei klarer Luft und guter Sehkraft Heidelberg, Speyer, Mannheim, Worms, Oppenheim, Mainz, Frankfurt, Hanau, Darmstadt und eine Menge kleinerer Ortschaften. Die Spitzen der meisten Berge längs der Bergstrasse sind mit Ruinen ehemaliger Raubschlösser gekrönt, was ihnen ein sehr malerisches und ehrwürdiges Aussehen gibt.
Joachim Heinrich Campe, 1785. Zitiert in: Buchmann, Hans: „Jugenheim/Balkhausen und der Heiligenberg“, Jugenheim 1978, S. 139.

 

8 Antworten to “Melibokus (10,1 km)”

  1. André Says:

    Hallo Matthias,

    hab euren Blog entdeckt und gleich Deinen Artikel zum Melibokus-Lauf verschlungen. So wie Du die Strecke beschreibst, bekommt man wirklich Lust sie selbst auszuprobieren. Weiter so! Bin gespannt auf die nächsten Berichte.
    Viele Grüße aus dem Bayernland,
    André

    P.S.: Ach ja, Grüße an Nemo

  2. matbs Says:

    Hi André,

    freut mich, dass es Dir gefallen hat. Ist wirklich eine sehr schöne Strecke, natürlich ganz besonders der Gipfel.
    Oh, und Nemo habe ich soeben gegrüßt, allerdings scheint er sich gerade mehr für sein Abendessen zu interessieren – sorry, aber manchmal ist er ganz schön ignorant 😉 .

    Dank für den netten Kommentar, und Grüße zurück aus Hessen

    Matthias

  3. Gerd Says:

    Hi Matthias,
    natürlich vernachlässige ich meine Laufberichte nicht. Zuerst kommt immer mein Laufbericht und zusätzlich dann die Challenge.
    Du bist ja ein echter Bergläufer. Auf den Melibokus zu laufen find ich schon ziemlich heavy. Ich habe einen Arbeitskollegen welcher schon oft den Melibokuslauf mitgemacht hat. Der hat aber auch nicht auf den Rippen und startet eher in deiner Gewichtsklasse. Ich müsste da 10kg mehr hinaufwuchten. Is mir definitiv zu anstrengend, zumal ich heute genug leide.
    Asthma und Pollenflug… böse Mischung!

    Gruß Gerd

  4. matbs Says:

    Hi Gerd,

    na da bin ich ja beruhigt – sonst könntest du ja am Ende versucht sein, ganz auf virtuell umzusteigen und das reale Joggen ganz zu lassen 😉 .

    Ob der Melibokus heavy ist oder nicht hängt auch wirklich viel von der Route ab – wie gesagt, die Strecke von Jugenheim über den Pürschweg ist meiner Meinung nach die einfachste, weil man da langsam und stetig über eine größere Distanz mit moderater Steigung läuft.

    Der Melibokuslauf ist da schon eine etwas andere Angelegenheit – da kommt der Aufstieg von Südwesten, vom Herrenweg via Erlengrund auf den Luci-Berg-Weg, und der ist fies steil, besonders weil man zu diesem Zeitpunkt schon ein paar Kilometer in den Beinen hat. Ich hab´ letztes Jahr zum ersten Mal daran teilgenommen (bei knapp 30 Grad und über 90% Luftfeuchtigkeit), und das Ergebnis war etwas durchwachsen: Einerseits eine Zeit, mit der ich eigentlich ganz zufrieden war (2:04 h auf knapp 20 Bergkilometer), andererseits war ich damit aber überraschend weit hinten im Feld. Schuld daran war hauptsächlich meine in diesem Post beschriebene Unfähigkeit, bergab richtig Tempo zu machen – solange es bergauf ging, war ich (für einen Amateur mit meinem bescheidenem Leistungsniveau) ziemlich gut dabei und hab´ ziemlich viele andere Teilnehmer hinter mir lassen können, aber als es dann über die Melibokusstrasse und den Pürschweg lange abwärts ging, hat mich so ziemlich jeder von denen wieder überholt.
    Am Ende bin ich dann irgendwo im hintersten Drittel gelandet. Hat mich einerseits ein bisschen gestört, da das jetzt wirklich mein Hausberg ist, und es im ganzen Feld wahrscheinlich keine fünf Läufer gegeben hat, die die Strecke so gut gekannt haben wie ich, aber andererseits war die Zeit an sich wirklich ok…
    Na ja, mal sehen, vielleicht nehme ich dieses Jahr wieder teil, dann allerdings mit deutlich geringeren Erwartungen (bin durch die Verletzung einfach noch nicht so weit wie ich letztes Jahr um die Zeit war).

    Zu Bergen, Asthma und Pollen: Wie schlimm ist das denn eigentlich genau? Ich denke schon die ganze Zeit über eine schöne Strecke für unseren geplanten gemeinsamen Bergstrassenlauf nach, und will dich natürlich nicht zu sehr strapazieren – aber die schönsten Strecken gehen hier halt nicht ohne den einen oder anderen Berg, meinst du, das haut hin?

  5. Gerd Says:

    Hi Matthias,
    das wird sich die nächsten Tage entscheiden wie es „Luftmässig“ weitergeht. Ich bin ganz zuversichtlich. Werde vorsichthalber Morgen mal auf`s Mountainbike umsteigen und eine ruhige Runde drehen. Laufen gibt`s erst wieder am Freitag. Da lauf ich von der Arbeit heim und möchte mal ne neue Route ausprobieren. Kommt auf meine Luft an.

    Gruß Gerd

    PS: Ich habe mir zwei Bücher von Achim Achilles bestellt. Freu mich schon drauf.


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  7. […] Gesagt getan. Aufstieg ganz konventionell über den Pürschweg (SJ2) zum Melibokus hoch. Gemächliches Tempo, lief ganz gut (beide Beine zickten und zwickten bei der Steigleistung ein bisschen vor sich hin, aber das hielt sich im Rahmen), ansonsten angenehm und ereignislos. Das Übliche halt… […]


  8. […] alles zwischen dort und hier (eine viel bessere Beschreibung der Aussicht gibt´s übrigens hier, ganz unten am Ende des Eintrags). Heute ist es überhaupt nicht klar, aber es ist trotzdem […]


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